Making a Living with Äbbel(woi)n

Noemi Löcse

"Betrachtet man die Dinge, so stößt man auf Menschen. Betrachtet man die Menschen, so wird gerade dadurch das Interesse für die Dinge geweckt." (Latour 1996: 50)

 

 


Unreifer Apfel & Apfelwein im Gerippten (Fotos: Noemi Löcse)
Unreifer Apfel & Apfelwein im Gerippten (Fotos: Noemi Löcse)

Mit Äpfeln, oder wie es in hessischer Mundart auch heißt: mit Äbbeln*, habe ich mich zu beschäftigen versucht und zwangsläufig damit, wie Leben_Arbeiten mit Äpfeln und mit dem ist, was aus ihnen entstehen kann: Apfelwein. Making a Living with Äbbel(woi)n.  

 

Anregung dazu sollte ich auch aus einem Aufsatz von Nancy Ries (2009) ziehen. In diesem verarbeitet die Anthropologin ihre über Jahre zusammengetragenen Eindrücke von Kartoffeln im postsozialistischen Russland. Sie schreibt:

 

"I came to see potato [sic] as [...] a 'cognitive resource'  – an object in the world 'coupled' to the social mind and thus an irreducible vehicle of thought about and action in the world. As an element of concentrated and widespread practice, moreover, potato gures in and lends shape to particular forms of action, interaction, and intentionality. Potato does not merely help to conceptualize the [...] world in an interpretive register; it also plays a role in structuring, maintaining, and regenerating that world." (ebd.: 182-183)

 

 

* auch Äppel, Eppel oder Ebbel


Zahlen zur Äbbel(woi)-Wirtschaft

 

In einer Publikation zum "Apfelwein in Frankfurt" aus dem Jahr 1987 (Brunck/Lenz/Rumeleit 1987) heißt es, dass in Westdeutschland pro Jahr von den damals bestehenden 46 Millionen Apfelbäumen mindestens 1,7 Millionen Tonnen Äpfel eingefahren wurden. Und das war nur die Erntemenge in den unfruchtbaren Jahren. Wenn alles gut lief, wurden jährlich sogar ganze 2,5 Millionen Tonnen geerntet. Davon wurden in den Keltereien ungefähr zwei Drittel zu Apfelsaft verarbeitet, wohingegen aus dem restlichen Drittel Apfelwein gewonnen wurde.

 

Daten, die näher an der Gegenwart sind, bietet das Statistische Bundesamt an. Demnach befanden sich im Jahr 2012 in Deutschland mehr als 72 Millionen gewerblich genutzte Apfelbäume (Statistisches Bundesamt 2012: 703). Das Gros davon, nämlich 87 Prozent, waren Tafeläpfel, 13 Prozent solche, die als "Wirtschaftsobstsorten" gelten. An der Anbaufläche gemessen waren die häufigsten Apfelsorten (in abnehmender Reihe) Elstar, Jonagold, Jonagored und Braeburn (ebd.).

 

Im Schnitt liegt der Verbrauch von Apfelwein je Einwohner bundesweit bei ca. 0,49 Liter. Regional betrachtet, variieren die Verbrauchszahlen jedoch. In Hessen, wo der Apfelwein traditionell einen viel höheren Stellenwert, ist der Pro-Kopf-Verbrauch zehn Mal so groß wie im Bundesschnitt (VdFw 2017a). Ungefähr 220 Betriebe stellen deutschlandweit Apfel- oder andere Fruchtwein her. Die meisten Keltereien sind von überschaubarer Größe und arbeiten fast ausschließlich regional. Es gibt jedoch auch einige größere Unternehmen, die ihre Fruchtweinangebote landesweit anbieten. Rechnet man den Umsatz aller Keltereien zusammen, so kommt man auf die beachtliche Summe von 110 Millionen Euro, so der Stand im Jahr 2016 (VdFW 2017b).

Ein Besuch auf der Apfelwiese

 

Um den Anfang jenseits des Schreibtischs zu machen, brach ich Anfang Juni 2017 auf, um eine Apfelwiese zu erkunden. Die Wiese war mit einem Maschendrahtzaun eingezäunt, wahrscheinlich zum Schutz vor Tieren (oder Menschen?). Ich wusste jedoch, wo sich ein Loch im Zaun befand, sodass ich die trotzdem auf die Wiese gelangte. Ich zählte fünf Apfelreihen mit jeweils zwölf Bäumen. An diesen waren zwar zum damaligen Zeitpunkt noch keine Äpfel zu erkennen, dafür blühten sie aber in einem herrlichen Weiß. Die Blätter sahen alle gesund und strahlend grün aus. Die Bäume waren alle in etwa gleich groß, zwischen 11,50 Meter. Des Weiteren waren sie sehr akkurat gepflanzt, immer im Abstand von ca. 1,50 Meter, zwischen den Reihen zwei Meter. Ich konnte eine klare Struktur erkennen. Später erfuhr ich, dass die Apfelbäume gestutzt werden, damit sie mehr in die Breite statt in die Höhe wachsen. Das macht das Ernten deutlich einfacher und die Bäume tragen mehr Früchte. 

 

Eine Woche später suchte ich die Apfelwiese noch einmal auf, in der vielleicht naiven Hoffnung, etwas Spektakuläreres beobachten zu können. Aber leider war dies nicht der Fall. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Blüten inzwischen verwelkten und abfielen. Ansonsten sah alles so aus wie davor, die Blätter, die Größe der Bäume, die Äste… Nichts hatte sich verändert. Dass die Apfelernte erst ab September beginnt, war mir zwar klar, aber dennoch dachte ich, dass irgendetwas mit diesen Bäumen geschehen war und dass ich jemanden antreffen würde. Aber da dies ein Bio-Anbau war, wurden die Pflanzen sich selbst überlassen. Es wurde nicht gegossen, gedüngt oder gar das Gras drum herum gekürzt. Nach Aussagen des landwirtschaftlichen Betriebs, der die Apfelbäume bewirtschaftet, wird generell immer alles so natürlich wie möglich gelassen und nur in Notfällen eingegriffen.

Mein persönlicher "Apfellehrpfad" 

 

Enttäuscht von den mageren Ergebnissen dieses ersten Aufbruchs, zweifelte ich an meinem Forschungsgegenstand so sehr, dass ich darüber nachdachte, meine Forschung zu Äpfeln aufzugeben. Stattdessen wollte ich mich mit Erdbeeren, deren Erntezeit sich Anfang Juni näherte, beschäftigen: wie sie von Konsument_innen selbst gepflückt werden, und was aus Erdbeeren hergestellt wird.

 

Allerdings wurde ich ermutigt, dass ich bereits mitten im Erkenntnisprozess sei, und dazu angehalten, die Erdbeeren Erdbeeren sein zu lassen und mein Interesse für das Leben_Arbeiten mit Äpfeln andernorts voranzutreiben: im Einzelhandel, in der Gastronomie, in Keltereien, in der Literatur...

 

Das führte mich zunächst noch einmal auf eine Streuobstwiese, diesmal im Marburger Stadtteil Ockershausen. Von hier, wo laut Informationsschild die "Anpflanzung zum obstbaulichen Wissen und zur Erhaltung wertvoller Kulturträger" beiträgt, setzte ich meinen persönlichen "Apfellehrpfad" fort. 

Apfellehrpfad in Marburg/Ockershausen (Foto: Noemi Löcse)
Apfellehrpfad in Marburg/Ockershausen (Foto: Noemi Löcse)

Alltägliches Handelsgut

 

Ich machte mich auf den Weg in einen Supermarkt in Marburg. Dort schrieb ich mir alles auf, was aus Äpfeln produziert wurde: getrocknete Apfelringe, Apfelchips, Apfelessig, Apfelwein, Apfelsaft, Apfelmus, Apfelmarmelade, Apfeljoghurt, Wasser mit Apfelgeschmack, Apfeltee, Apfelschorle und Apfel-Müsli-Riegel, Apfel-Früchte-Riegel.

  

Äpfel und Äpfelprodukte (Fotos: Noemi Löcse)

 

Außerdem beobachtete ich das Kaufverhalten von ein paar Kund_innen in der Obstabteilung. Meistens wurden sechs mit Plaste abgepackte Äpfel gekauft. Einzelne Äpfel wurden meiner Beobachtung nach eher von jungen Menschen in den Korb gelegt. Die Auswahl ging oft schnell von statten, nur selten standen Kunden vor den Apfelangebot und überlegten, für welche sie sich entscheiden sollten.

 

Anschließend befragte ich einige Kund_innen. Eines dieser kurzen Interviews mit einer jungen Frau, um die 25 Jahrealt, gebe ich hier auf Grundlage meines direkt im Anschluss angefertigten Gedächtnisprotokolls wieder:

 

Ich: Hallo, ich arbeite an einem Forschungsprojekt für ein Seminar meines Studiengangs. Ich interessiere mich für Äpfel. Ich habe soeben gesehen, dass du welche in deinen Korb gelegt hast. Dürfte ich dir ganz kurz ein paar Fragen dazu stellen?

Kundin: Ja, klar!

Ich: Ich habe beobachtet, dass du dir die verschiedenen Apfelsorten angeschaut hast. Und manchmal hast du einen in die Hand genommen und ihn dann aber wieder zurückgelegt. Jetzt hast du dich für diese zwei hier entschieden. Warum gerade die?

Kundin: (lacht) Ja, ich will natürlich die Äpfel, die am besten schmecken und da fühle ich die immer. Außerdem sollen sie möglichst groß sein, damit ich viel davon habe.

Ich: Okay, wie fühlt sich denn der perfekte Apfel an?

Kundin: Naja, der soll schon fest sein. Manche sind so krümelig oder körnig, die schmecken mir dann nicht. Also wenn ich zu tief reindrücken kann, ist es schlecht.

Ich: Aha, gut zu wissen. Und die Farbe ist dir egal? 

Kundin: Ja, schon. Nur die Grünen, die esse ich nicht. Die sehen schon so künstlich aus irgendwie. So lange der Apfel aber rot oder gelblich aussieht, ist's ok.

Ich: Habe ich das richtig verstanden, du wählst deine Äpfel nach der Konsistenz, dann nach der Größe und dann nach der Farbe aus?

Kundin: So genau hab ich mir da noch nie Gedanken drüber gemacht... Ja, so ungefähr. 

Ich: Okay, dann guten Appetit bei den Äpfeln und danke für deine Antworten!

Einblicke in die Äbbelwoi-Herstellung

  

Leider unausgegoren... Wenden Sie sich besser direkt an die Kelterei. Mit einem Klick wird dort  aus erster Hand  Ihr Wissensdurst gestillt.

 

Ernten –  Keltern  Trinken: Reliefs an einem Apfelweinlokal in Frankfurt a. M.  (Fotos: Noemi Löcse)

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• Helma Brunck/Helmut Lenz/Otto Rumeleit (1987), Der Apfelwein in Frankfurt: Seine Geschichte und Bedeutung für die Stadt, Frankfurt a. M.

• Bruno Latour (1996), Der Berliner Schlüssel, in: ders., Der Berliner Schlüssel: Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin, S. 37-51.

• Nancy Ries (2009), Potato Ontology: Surviving Postsocialism in Russia, in: Cultural Anthropology 24/2, S. 181-212.

• Statistisches Bundesamt (2012), Wirtschaft und Statistik (Kurznachrichten), September, online unter https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/Monatsausgaben/KurznachrichtenSeptember2012.pdf?__blob=publicationFile [letzter Zugriff: 10. September 2017].

 Verband der deutschen Fruchtwein- und Fruchtschaumwein-Industrie e. V. (VdFw) (2017a), Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland, online unter http://www.fruchtwein.org/verbrauch-deutschland.html [letzter Zugriff: 10. September 2017].

 Verband der deutschen Fruchtwein- und Fruchtschaumwein-Industrie e. V. (VdFw) (2017b), Die Branche, online unter http://www.fruchtwein.org/die-branche.html [letzter Zugriff: 10. September 2017].