Marcus Richter
Das zweisemestrige Lehrforschungsprojekt (2016/2017) fand im Bachelor-Studiengang Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaft am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft der Philipps-Universität Marburg statt.
Es ist mit dem Vorsatz gestartet, in Beziehung zu wirtschaftlichen Praktiken in die Entwicklung einzusteigen, das Interesse der Europäischen Ethnologie an Materialitäten zu erweitern: weg von den Fragen nach den Umgängen und Bedeutungen, die nur auf die Menschen abzielen, die sie in Wort und Tat widerständig und bedeutungsvoll machen, hin zu den Beziehungen zwischen Menschen und Dingen, die beide (und mehr noch) überhaupt erst möglich machen. "Wir sind die Nachkommen unserer Werke", schreibt deshalb auch der französische Anthropologe Bruno Latour (2014: 348), der wesentliche Anstöße zu dieser Erweiterung gegeben hat.
Doch auch schon in der Fachgeschichte der Europäischen Ethnologie finden sich gewisse Anregungen für die Entwicklung eines solchen Interesses für "Mensch-Ding-Assoziationen am Werk". Erinnert sei nur an Reinhard Peesch (1961), der die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Fischern und Fanggeräten rekonstruiert hat, an denen die "Die Fischerkommünen auf Rügen und Hiddensee" hingen.
beim Leben_Arbeiten mit Äbbel(woi)n (Noemi Löcse)
bei der Versammlung Digitaler Nomaden (Melf Nissen)
bei Gründungen eines Bauunternehmens (Katharina Skworzow)
bei der Milchproduktion (Marie-Elisa Marwig)
beim Schöpfen eines Papers im Informatikbüro (Olufemi Atibioke)
bei der Müllreduktion in der Unverpackt-Handlung (Nieki Samar)
Die Herausforderung, mit diesen Vorsätzen in Beziehung zu wirtschaftlichen Praktiken zu treten, das Wahrnehmen sozusagen zu erweitern, um von ihren "Durchgangspunkt[en]" (Latour 1996: 49) kaum alle, aber doch mehr als bei der Suche nach "sozialen Erklärungen" (Latour 2007) zu registrieren, war keine geringe. Nicht nur deshalb, weil ein konventioneller Materialismus, bei dem zum Schluss wie schon zu Anfang feststeht, dass beispielsweise das, was jemanden zur (schnellen) Kassenkraft werden lässt, nur der "finanzielle Druck" ist (Wolfmayr 2011: 42), immer wieder zu nahe lag.
Auch drängten sich nur allzu leicht das Programm von Kultur als "selbstgesponnene[s] Bedeutungsgewebe" (Geertz 1983: 9) und sich daraus ergebende Forschungsfragen nach Bedeutungen auf – anstatt sich zu den jeweiligen Feldern von Interesse in eine Stellung zu bringen, die kulturelle Äußerungen als "located and performed in human and non-human material practices" (Law 2002: 24) begreift und so nach ihrem Möglich-Werden fragt.
Was die Studierenden aus diesen Vorsätzen gemacht haben und ob dieses Experiment forschenden Lernens gelungen ist, davon können Sie sich in den Projektaufrissen auf diesen Seiten ein Bild machen.
Über Ihr Interesse an unserem Lehrforschungsprojekt freuen wir uns und nehmen gerne auch Ihr Feedback entgegen.
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• Clifford Geertz (1983), Dichte Beschreibung: Bemerkungen zu einer deutenden Theorie der Kultur, in: ders., Dichte Beschreibung: Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M., S. 7-43.
• Bruno Latour (1996), Der Berliner Schlüssel, in: ders., Der Berliner Schlüssel: Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin, S. 37-51.
• Bruno Latour (2007), Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft: Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a. M.
• Bruno Latour (2014), Existenzweisen: Eine Anthropologie der Modernen, Berlin.
• John Law (2002), Economics as Interference, in: Paul du Gay/Michael Pryke (Hgg.), Cultural Economy: Cultural Analysis and Commercial Life, London, S. 21-38.
• Reinhard Peesch (1961), Die Fischerkommünen auf Rügen und Hiddensee, Berlin.
• Georg Wolfmayr (2011), Diskont-Körper: Über das Einlernen von Schnelligkeit in einer Hoferfiliale, in: Kuckuck: Notizen zur Alltagskultur 26/1, S. 40-42.